Am 15. Juni 2024 kamen in Frankfurt am Main 33 Aktivist*innen aus dem Einzugsbereich von vier zum südlichen Afrika arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen: Informationsstelle südliches Afrika (issa), Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA), Koordinierungskreis Mosambik (KKM) und Zimbabwe Netzwerk (ZN). Um sich im geschichtsträchtigen Saalbau Gallus, in dem 1964-1965 der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess stattfand, zu treffen, reisten die Teilnehmer*innen nicht nur aus der gesamten Republik, sondern Einzelne sogar aus Schweden und Äthiopien an. Der für gut vier Stunden angesetzte Workshop in deutscher Sprache lud ein mit der Ankündigung, sowohl die Geschichte und die Beweggründe der historischen Solidaritätsbewegung zum südlichen Afrika in den Blick zu nehmen als auch über Gegenwart und Zukunft der solidarischen Aktion zu beraten. Als Anlass diente hierfür der von Henning Melber als Herausgeber verantwortete Sammelband „Solidarität mit Zimbabwe – 40 Jahre Zimbabwe Netzwerk: Geschichte, Analysen, Perspektiven“, der im April 2024 im Verlag brandes + apsel erschienen ist. Letzterer war bei der Veranstaltung auch mit einem Bücherstand vertreten, der mit weiteren spannenden Lesewerken zu diversen Themen mit Afrikabezug bestückt war.
Die Idee für das Buch und letztlich auch für den Workshop entstand zwei Jahre zuvor bei einer Mitgliederversammlung des Zimbabwe Netzwerks. Trotz des einschlägigen Namens hatten den Verein Anfragen erreicht, womit er sich denn beschäftigen würde. Um seiner namentlich festgehaltenen Widmung als Vernetzungsorgan auch zur heutigen Zeit Nachdruck zu verleihen und gerecht zu werden, wurde daraufhin nicht nur die Herausgabe des Buches, sondern auch ein Zusammenbringen der verschiedenen Gruppierungen beschlossen, die sich schon lange mit kritischer Solidaritätsarbeit beschäftigen. Kurzum: Die Solidaritätsarbeit sollte für noch mehr Menschen zugänglich gemacht werden. Denn was durch derartige Anfragen deutlich wird – die immerhin zur Organisierung dieser Tagesveranstaltung beigetragen haben – sind Baustellen nahezu aller Organisationen, die aus der historischen Solidaritätsbewegung in (West-)Deutschland entstanden sind. Die Ziele, die für viele von ihnen vor einigen Jahrzehnten dringlich und aktuell waren, sind entweder erreicht oder nicht mehr aktuell. Politische Systeme haben sich geändert und Dringlichkeiten haben sich verschoben, sowohl in Deutschland als auch im südlichen Afrika. Was sind also die unterliegenden Motivationsgründe, die in der Vergangenheit die Solidaritätsarbeit angetrieben haben und heute weiter antreiben können, und wie lassen sie sich mit aktuellen Projekten verbinden, sodass sich auch die nachgewachsenen Generationen für die transkulturelle Zusammenarbeit engagieren?
Nach der Begrüßung des Publikums, der Vorstellung der Organisator*innen und dem Ausrichten von Grüßen politischer Unterstützer, wie von Ruth Weiss, begann der aus einer Podiumsdiskussion bestehende erste Teil der Veranstaltung. Dieser wurde auch online übertragen, sodass sich Interessierte, für die die Anreise nicht möglich war, dennoch zum Zuhören dazu schalten konnten. Auf dem Podium versammelten sich unter der Moderation von Christoph Fleischer der Aktivist der historischen Anti-Apartheid-Bewegung und Afrikanist Henning Melber sowie jeweils ein*e Vertreter*in der beteiligten Organisationen: Petra Aschoff (KKM), Lothar Berger (issa), Gisela Feurle (ZN) und Simone Knapp (KASA). Für viele von ihnen untereinander sowie auch mit dem Publikum war es ein Wiedersehen nach langer Zeit – so manch einer trug früher einmal deutlich längeres Haar, wurde gescherzt. Christoph Fleischer eröffnete die Diskussionsrunde mit der Frage an Henning Melber, was der Begriff „kritische Solidarität“ über das neuerschienene Buch hinaus bedeute, bevor im Anschluss mit allen Podiumsteilnehmer*innen besprochen wurde, wie es mit der konkreten Umsetzung dieses Leitbilds in der Zukunft weitergehen könne.
Die Antworten waren vielschichtig. Solidarität kann nicht grundsätzlich als etwas Positives verstanden werden, sondern hat immer mit der persönlichen Moral und Wertvorstellung zu tun. So habe es in den 70er und 80er Jahren auch Solidaritätsbekundungen mit den weißen Siedlerregimen von denjenigen gegeben, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen auf den Fortbestand der Apartheid setzten. Dagegen war die Solidaritätsarbeit der Anwesenden von dem Willen bestimmt, den Kampf der Menschen im südlichen Afrika um ihre Selbstbestimmung zu unterstützen. Eine der Erfahrungen des jahrelangen Engagements ist jedoch, dass in zu vielen Fällen jene Organisationen, die diese Emanzipation versprachen, nach dem Gewinn der Macht ihre Versprechen nicht einlösten und sich in neue Unterdrücker verwandelten. Die Leitphrasen früherer Zeiten in die heutige Situation zu übertragen, wäre also falsch, vielmehr muss das Engagement wertegebunden anstatt organisations- (oder gar: parteien-)gebunden sein und sich dynamisch an gesellschaftspolitische Veränderungen in den Partnerländern anpassen. So galt die FRELIMO früher als Befreiungsorganisation, wohingegen bei den letzten Lokalwahlen in Mosambik durch dieselbe Partei massive Wahlfälschungen vorgenommen wurden.
Das auf die eigene Gesellschaft in Deutschland bezogene Engagement war ein zentraler Bestandteil der historischen Soli-Arbeit und ist heute wichtiger denn je: In einer global vernetzten Welt muss dringend Aufklärungsarbeit über die Auswirkungen von Entscheidungen stattfinden, die in Deutschland getroffen werden und sich auf andere Nationen und Gesellschaften auswirken. So zum Beispiel ist es wichtig aufzuklären, welche deutsche Firmen zum Prozess des State Capture beigetragen haben, das in den Ländern des südlichen Afrika zu beobachten ist. Doch der Punkt, an dem eine sinnvolle Solidaritätsarbeit ansetzen kann, findet sich bereits an einer viel früheren Stelle: Der medial stark vereinfachten Darstellung des südlichen Afrikas muss entgegengewirkt werden, um überhaupt die Relevanz von transkontinentalen Verflechtungen der Industrie und Politik für das eigene Leben nachvollziehen zu können. In vielen Medien werden historische Zusammenhänge und persönliche Motive, die zum Beispiel afrikanische Staatschefs wie Mnangagwa zur Zusammenarbeit mit Russland bewegen, weitestgehend ausgeklammert. Nur durch das Hören differenzierter Stimmen über die Politik im südlichen Afrika kann ein Kraut gegen die polarisierende Stimmung innerhalb unserer eigenen politischen Debattenkultur gedeihen. Gleichzeitig können wir nicht erwarten, dass die Vielfalt der afrikanischen Stimmen, die in den Publikationen von issa, KASA, KKM und ZN ein Sprachrohr finden, zwangsläufig unsere politischen Ideale teilen. Nicht jede*r hält die repräsentative Demokratie Deutschlands für das höchste Gut, nach dem es sich zu streben lohnt, und nicht jede*r im südlichen Afrika äußert sich gegen den Neoliberalismus. Die eigene Positionalität zu hinterfragen ist zudem in jeder transkulturellen Auseinandersetzung von elementarer Bedeutung. Nicht nur um des „woke“-sein-Willens und um damit terminologisch einer jüngeren Generation gerecht zu werden. Sondern weil die langjährige Solidaritätsarbeit gezeigt hat, dass beide Seiten davon profitieren.
Die Auswirkungen europäischer oder deutscher Politik und Wirtschaft können ein bedenkliches hierarchisches Gefälle zwischen dem südlichen Afrika und Europa schaffen, das auch vor dem individuellen Solidaritätsengagement einer Person in Deutschland nicht Halt macht. Für die einen handelt es sich um eine freiwillige Freizeitbeschäftigung, für die anderen hängt von ihrem Aktivismus unter Umständen ihr Leben ab. Es ist also wichtig, zuhören zu können und seine eigenen Bewertungen politischer Umstände immer wieder nachzujustieren. Dabei sollte stets bedacht werden: Sich mit den Ländern im südlichen Afrika zu beschäftigen ist nichts, wofür die Menschen dort Dankbarkeit empfinden müssten, sondern eine Chance für uns. Anderen die eigene Kultur und Werte zu erklären und mit ihnen zusammen zu hinterfragen, eröffnet die Möglichkeit, Überholtes abzulegen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Als praktisches Beispiel dafür, dass derartige Gelegenheiten geschaffen werden können, wurden die begleiteten Reisen der Deutsch-Simbabwischen Gesellschaft und die Begegnungen von Schüler*innen im Rahmen von Schulpartnerschaften genannt. Doch nicht für jede*n ist die Teilnahme an derartigen Gelegenheiten möglich, finanziell, familiär, gesundheitlich, etc. Digitale Räume bieten eine weitere Möglichkeit, Inhalte über den unmittelbaren Organisationsbereich hinaus nach außen zu tragen. Zudem können auf diesem Weg auch Personen aus dem südlichen Afrika an Podcast-Aufnahmen, Webinaren und Jours Fixes teilnehmen und sich dort einbringen.
Das Fazit der Podiumsdiskussion könnte also lauten, dass jede Organisation für sich einen wichtigen Wissenshort der vergangenen Solidaritätsarbeit darstellt, mit allen positiven und negativen Schlussfolgerungen der Zusammenarbeit. Dieses Wissen wiederum ist unermesslich wichtig dafür, aktuelle Zusammenhänge und Wirkweisen im Großen wie auch im Kleinen im südlichen Afrika nachzuvollziehen und mit dem leitenden Motivationsfaktor der Empathie für unterdrückte Personen neue Projekte zu identifizieren und anzugehen.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde anschließend in einem „World Café“ in Kleingruppen besprochen, wie der Leitgedanke der Solidaritätsarbeit konkret in Zukunft aufgefasst und umgesetzt werden kann. An fünf Thementischen fanden sich in zwei Runden jeweils verschiedene Personen zusammen, die sich dieser Frage von unterschiedlichen Anknüpfpunkten aus näherten. Praktisch alle beteiligten Organisationen teilen die Erfahrung, dass immer weniger junge Menschen Interesse zeigen – nicht an der grundsätzlichen Thematik, sondern an der permanenten Mitarbeit in vorgegebenen Strukturen. Darüber hinaus hat die postkoloniale Debatte der jüngeren Zeit unbeschadet ihrer wichtigen Anstöße dazu beigetragen, dass die Zusammenarbeit mit den stereotypen „alten weißen Männern“ beinahe kategorisch abgelehnt wird. Die Überwindung dieses Problems kann nur gelingen, wenn überzeugend vermittelt werden kann, dass die unterliegenden Werte, die von den „alten weißen Männern“ (und Frauen) übermittelt werden, eine große Übereinstimmung mit denen jüngerer Generationen birgt. Durch praktische Projekte, die eine persönliche Begegnung zwischen Menschen aus Deutschland und dem südlichen Afrika ermöglichen, kann der Wille zum andauernden Engagement erwachen. Auch ein Ehrenamt lebt von dem Gegenwert, den man zurückerhält für seine Arbeit, auch wenn dieser sich nicht finanziell, sondern in dem Gewinn von Freundschaften, Anerkennung und Wertschätzung und der Hoffnung darauf darstellt, dass man selbst etwas bewegen kann.
In der weiteren Diskussion der World Café-Ergebnisse fiel zudem oft der Begriff einer gewünschten Begegnung „auf Augenhöhe“ mit Personen aus dem südlichen Afrika. Doch im Kontext von stets asymmetrischen Machtverhältnissen erweist sich dieses Ideal leider allzu oft als Illusion. Zudem ergibt sich insbesondere auf politischer Ebene oft eine paradoxe Situation: Sollte man sich mit Forderungen solidarisieren, die man als legitim erachtet, die aber von Regierungen gestellt werden, die wiederum illegitim an der Macht sind? Legitim nach unseren Maßstäben gewählte Regierungen treffen doch auch in Europa katastrophale Entscheidungen, wie das aktuelle Szenario der britischen Abschiebungen nach Ruanda belegt. In vielerlei Fällen scheint es nahezu unmöglich, in einer polarisierten Debattenkultur auf Basis von 160-Zeichen-Kurznachrichten einer eindimensionalen oder gar falschen Wahrnehmung zu entgehen und eine sichere Orientierung für das eigene Handeln zu finden. Als Weg nach vorne für die organisatorisch verfasste Solidaritätsarbeit bleibt nur die intensive Vernetzung, sowohl der Organisationen untereinander als auch nach außen hin an die interessierte Öffentlichkeit. Kulturveranstaltungen um neue Leute, die bereits thematisch interessiert sind, zu gewinnen, sind gute Anlaufstellen. Angesichts des aktuellen politischen Rechtsrucks sind gerade Bildungsveranstaltungen für junge Leute wichtige Aktivitäten der Gegensteuerung. Des Weiteren könnte zukünftige Lobbyarbeit das Defizit beheben, dass die beteiligten Organisationen schon lange Zeit keine Ansprechpartner mehr für politische Stellungnahmen sind.
Es wurden viele Ideen vorgetragen, bei welchen Veranstaltungen neue Netzwerke aufgetan, welche bestehenden Angebote aufgegriffen und welche anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen angesprochen werden könnten. Doch obwohl dies zeigte, dass die Möglichkeiten reich und gewinnversprechend sind, wurde die Euphorie von der Einsicht mangelnder Ressourcen gedämpft. Die Mitgliederdecken werden überall dünner, sodass das Stämmen dieser Art von Arbeit utopisch erschien. „Wir müssen uns zusammenschließen!“ – der allzu logische Aufruf. Doch trotz der vielen Gemeinsamkeiten der beteiligten Organisationen ist dies aufgrund historisch unterschiedlicher Identitäten, die das Denken bis heute beeinflussen, sowie aufgrund der eingeübten Konzentration auf den eigenen Aktionsbereich etwas, das schnell abgetan wurde. Breitere Begeisterung rief der Ansporn zu mehr Kooperationsprojekten zwischen den Organisationen hervor. Zu diesen könnten mehr Veröffentlichungen zu den jeweiligen Informationsarbeiten in den Vereinspublikationen zählen, aber auch gemeinsame Projektanträge. So können die individuellen Identitäten bewahrt, aber dennoch die Kräfte gebündelt werden, um den Wert der Solidaritätsarbeit in die Zukunft zu transportieren.
Die Veranstaltung im Saalbau Gallus wurde mit der feierlichen Übergabe der Urkunde über die Ehrenmitgliedschaft im Zimbabwe Netzwerk an Henning Melber für sein außerordentliches Engagement beschlossen – eine Auszeichnung, die bisher nur Ruth Weiss erhalten hat. Die Mitübergabe von etwas „altem Weißen“, das durchaus Wertschätzung erfuhr, ließ in rhetorischer Anlehnung an die vorige Debatte so manche*n schmunzeln – Wein jedoch in diesem Fall.
Das Fazit könnte lauten, dass bei gebündelter Kraft und dem Willen zur Übersetzung der Motivation für die einstige Solidaritätsarbeit in eine neue Sprache, die zu aktuellen Ereignissen passt, mit einem Fokus auf die unterliegenden Werte, noch viel sinnvolle Arbeit zu leisten und viel Potenzial auszuschöpfen ist. Leider war der Workshop spürbar zu kurz, um die vielen Strategien und Zukunftsansätze im Detail und in allen relevanten Bereichen, insbesondere der Nachwuchsaquise, zu erarbeiten. Angesichts der angeregten Diskussionen, die auch über das Ende der Veranstaltung hinaus beim gemeinsamen Abendessen ihre Fortsetzung fanden, wurde deutlich, dass es vermutlich auch über den doppelten Zeitraum noch viel zu sagen und brainstormen gegeben hätte. Der weitere Gesprächsbedarf wurde also ersichtlich, und es ist zu hoffen, dass die am Ende aufkeimende Idee der Fortsetzung in Form einer Veranstaltungsreihe umgesetzt werden kann.