Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Südafrika: 10 Jahre nach dem Farmarbeiter:innenstreik

Mehr zufällig erfahren wir auf unserer Dienstreise in Johannesburg, dass während unseres Aufenthalts in Kapstadt unsere Partnerorganisationen Trust for Community Outreach and Education (TCOE) und Commercial, Stevedoring, Agricultural and Allied Workers Union (CSAAWU) des Farmarbeiter:innenstreiks von vor zehn Jahren mit einer Feierstunde gedenken. Eine gute Gelegenheit, alte Freund:innen wiederzusehen und neue Kontakte zu knüpfen.

Der Ort war perfekt gewählt, um an den ersten großen Streik der Farmarbeiter:innen im südafrikanischen Westkap zu erinnern. Durch die euphemistisch als Lodge bezeichnete ehemalige Sklavenunterkunft in Kapstadt pfiff der kalte Wind an einem an sich sonnigen Tag, als sich im Innenhof der Slave Lodge gut hundert Mitglieder der Farmarbeiter:innengewerkschaft CSAAWU und von TCOE trafen, die meisten in roten T-Shirts oder Basecaps. Und wir, mehr zufällig, weil wir gerade vor Ort waren, mittendrin.

Die Slave Lodge wurde 1679 erbaut und ist damit das zweitälteste bestehende Kolonialgebäude in Kapstadt. Sie wurde bis 1811 als Sklavenunterkunft genutzt, bevor sie von den britischen Kolonialbehörden in Regierungsbüros umgewandelt wurde. Das Haus beherbergte die Sklaven, die der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) angehörten und für sie arbeiteten:

“After work at the slave lodge, rations were given to the slaves. Meat was provided at times, but in the form of offcuts, and the slaves were always close to starvation. Life in the slave lodge was very harsh, and fellow slaves who were trusted by the VOC, madoors, would be charged with policing at night. One section of the slave lodge was also used as a hospital for sick sailors and soldiers who had contracted diseases such as smallpox. Another section housed political prisoners from Indonesia banished by the VOC to the Cape because of their resistance. The ailing underclass, political prisoners and slaves, were housed together. At night, the slave lodge was also used as a brothel by sailors, soldiers, local farmers and VOC bureaucrats. Women slaves – who also did manual labour and were used as washerwomen – were used as sex slaves.”[1]

Der Jahrestag des Streiks stand aber mehr im Zeichen vom Feiern von Erfolgen als von Gedenken und Trauer, auch wenn den in 2012 im Zuge des Streiks Inhaftierten gedacht wurde und die Veranstaltung an diesem geschichtsträchtigen Ort stattfand. Für die musikalische Umrahmung sorgte eine kleine Band mit Chor, die alte Sklavenlieder sangen, es wurden Gedichte vorgetragen und Prof. Nieftagodien sorgte für die inhaltliche Verortung, wenn auch die meisten Teilnehmenden schon begonnen hatten, sich am Buffett anzustellen.

Nieftagodien erinnerte an die Widerständigkeit der Sklaven sowie an die Geschichte der Farmarbeiter:innen im Western Cape und schlug damit den Bogen zu den Streiks von 2012. Damals war das Land in Aufruhr, nachdem Arbeiter in den Platinminen über mehrere Monate für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen die Arbeit niedergelegt hatten und 34 von ihnen von der Polizei erschossen worden wurden. Das als Massaker von Marikana in die traurige Geschichte Südafrikas eingegangene Ereignis hatte eine Streikwelle durch das Land geschickt, mit dem Ergebnis, dass selbst die Farmarbeiter:innen in der Weinregion, die bis dato nie gestreikt hatten, sich den Forderungen nach höheren Löhnen sowie besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen anschlossen.

Viele der Arbeiter:innen waren im Laufe der Jahre aufgrund neuer Gesetzgebung von den Farmern entlassen worden und hatten damit auch ihr Wohnrecht auf den Farmen, auf denen sie schon seit Generationen wohnten und arbeiteten, verloren. Das hatte zur Folge, dass sie zwar weiterhin als Kontraktarbeiter:innen und Tagelöhner:innen auf denselben Farmen arbeiteten, aber am Rande von Kleinstädten in informellen Siedlungen lebten. Dort hatten sie nicht nur Zugang zu Gewerkschaften, sondern auch zu anderen Leidensgenoss:innen, mit denen sie sich nun solidarisieren, von denen sie lernen und mit denen sie Forderungen formulieren konnten. Daher waren die Streiks dann auch in und um die Kleinstädte De Doorn oder Robertson ausgebrochen.

Eine der damaligen Forderungen war die Erhöhung des Tageslohns von 69 Rand (damals 6,55€) auf 150 Rand (damals 12,16€). Zwar konnten die Lohnerhöhungen zum Teil erreicht werden, wurden aber durch andere Tricks der Farmer wieder aufgefressen: die Mieten und Nebenkosten wurden erhöht, plötzlich wurden Transportkosten vom Lohn abgezogen oder bisherige Vergünstigungen wie Fleischzuteilungen oder kleine Parzellen zum Anbau von Gemüse gestrichen. Immerhin war es das erste Mal gewesen, dass die Farmer sich an einen Tisch mit ihren Angestellten setzen mussten, um über deren Löhne zu verhandeln. Das war ein erster Schritt hin zu mehr Teilhabe und Anerkennung, so berichtete einer der Gewerkschaftsführer damals. Bis heute werden die Mindestlöhne der Farmarbeiter:innen nicht von ihnen selbst oder ihren Gewerkschaften verhandelt, sondern stellvertretend von der südafrikanischen Regierung.

Auch zehn Jahre nach dem Streik berichteten die Farmarbeiter:innen, dass rassistische Übergriffe von Seiten der Farmer an der Tagesordnung seien. Es werden immer wieder Gesetzesverstöße bekannt, wie etwa der Transport von Arbeiter:innen in offenen Lastwägen oder Unterwanderung der Mindestlöhne. Die staatlichen Kontrollinstanzen sind schlecht ausgestattet und vorangekündigte Kontrollen decken meist nicht die wirklichen Zustände auf den Farmen auf. Die Polizei arbeitet eher für die Farmer als für Gerechtigkeit, und für die meisten armen Menschen sind die Gerichte unerreichbar – wenn sie überhaupt über ihre Rechte bescheid wissen. Viele Berichte, die wir in den letzten zehn Jahren von den Farmarbeiter:innen, sei es in einer Nacht- und Nebelaktion direkt auf den Farmen oder in den regionalen Beratungszentren von CSAAWU, gehört hatten, unterscheiden sich kaum von dem, was wir über die Zustände in der Slave Lodge lesen können.

Die Veranstaltung in der Slave Lodge redet all diese Themen nicht schön, überdeckt sie nicht mit Lobesreden, sondern zeigt, wie wichtig die Solidarität untereinander ist, wie wichtig das gemeinsame Feiern für eine weitere Dekade des Kampfes für mehr Rechte und bessere Löhne ist, und wie weit es die einzelnen Gewerkschafter gebracht haben - auch persönlich und räumlich durch die internationale Zusammenarbeit. So stellten uns Karel Swart und Trevor Christansen, die 2017 auf einer Speakers Tour in Deutschland waren, ihre Familien vor, und berichteten, dass sie bei uns zuhause übernachtet hätten. Das erinnerte mich an eine Szene in dem Dokumentarfilm von Tom Heinemann, „bitter grapes“, in dem ein junger Mann sinngemäß sagt: ich bin auch intelligent, ich könnte auch in die Welt hinausgehen, aber mir fehlen die Kontakte, die Beziehungen. Deshalb sitze ich hier auf der Farm, arbeite mit meinen Händen und werde nie aus dieser Armut herauskommen.

Solidarität zeigt sich unter anderem in solchen Beziehungen und Netzwerken, die auch Menschen aus dem Globalen Süden vernetzen und ihnen so Zugänge zu den Macht- und Geldzentren des Globalen Nordens verschaffen.

Der 10. Jahrestags des Streiks war eine wichtige Erfahrung für uns alle und ein gutes Wiedersehen an diesem historischen Ort.