Angefangen hat alles mit dem Versuch von Nestlé 2010, für Kosmetika und andere verarbeitete Rooibos-produkte Patente anzumelden, ohne jedoch die südafrikanische Regierung oder die Khoisan selbst vorher um Erlaubnis zu fragen. Die südafrikanische Nichtregierungsorganisation Natural Justice wurde zur Fürsprecherin der Khoisan und konnte die Patentierung verhindern. 2014 folgten daraufhin Verhandlungen zu einem Vorteilsausgleichsverfahren. Und nachdem die von der südafrikanischen Regierung in Auftrag gegebene Studie nachweisen konnte, dass die Khoisan tatsächlich das Wissen über die Verwendung von Rooibos tradierten, war der nächste logische Schritt die Übereinkunft mit der gesamten Rooibos-Industrie. Das Wissen um Anbau, Verarbeitung und Einsatzmöglichkeiten von Rooibos, das sie seit Generationen nutzten und an Außenstehende weitergaben, ermöglichte erst die Vermarktung der Rooibos-Produkte. Das im japanischen Nagoya unterzeichnete Zusatzprotokoll der UN über die biologische Vielfalt zielt darauf ab, die Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen auf faire und gerechte Weise zu teilen. Diese Einigung ist das erste Mal, dass das Nagoya-Protokoll nicht auf Ressourcen sondern auf indigenes Wissen und auf einen kompletten Industriezweig angewendet wird.
In Deutschland wurde der Rooibostee über die Herrnhuter Missionsstation Wupperthal im West- und Nordkap bekannt. In den Zederbergen ist der Aspalathus linearis, der zu der Familie der Hülsenfrüchten gehört, zuhause. Bei Ankunft der rheinischen Missionare im 19. Jahrhundert waren fünf Khoikhoi-Familien ansässig, die die Ankömmlinge an ihrem Wissen teilhaben ließen. Noch heute lebt ein Teil der Menschen in Wupperthal vom Anbau und der Vermarktung von Rooibos, nicht zuletzt über die relativ neu gegründete kleinen Kosmetiklinie Red Cedar.[1]
Nur etwa zwei Prozent des Rooibos-Tees wird von Kleinbauern in der Region produziert. Den Großteil bauen die rund 300 weißen, kommerziellen Farmen an. Doch von der Einigung werden auch die Kleinbauern profitieren, denn die Summe soll in einem Trust angelegt werden, den der Khoisan-Rat verwalten wird. Die 25 Mitglieder des Rates kommen aus den fünf Hauptgruppen der Khoisan, der Griqua, Cape-Khoi, Korana, Nama und San, die über ganz Südafrika verstreut leben. Diese Konstellation ist einer der Punkte, die derzeit noch geklärt werden müssen, denn alle Gruppen sollen und werden von den Zahlungen profitieren. Es könnte für die Gruppen einen viel wichtigeren Effekt als den rein finanziellen geben, denn sie werden in diesem Abkommen über ihr traditionelles Wissen als ethnische Gruppe in Südafrika definiert und als solche etabliert.
„Die Khoi und San sind verfassungsgemäß nicht als Gruppen anerkannt, was bereits 2005 von einer UN-Delegation beanstandet worden ist. Es scheint so, als ob Rooibos diese Anerkennung nun ermöglichen würde“, kommentiert die Direktorin von Natural Justice, Lesle Jansen[2].
Im Hintergrund der Debatte steht – wie immer in Südafrika –die Landfrage. Wenn die Khoisan als Gruppe anerkannt werden, welche Ansprüche auf welches Land werden sie stellen?
Hier kommt ein wenige Tage nach Bekanntwerden der Einigung vom Präsidenten unterzeichnetes Gesetz ins Spiel. Es handelt sich um das Traditional and Khoisan Leadership Gesetz, das Ramaphosa trotz massiver Kritik von Seiten seines Beraterstabs und vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen unterzeichnete. Das Gesetz, so die Argumente, werden traditionellen – meist männlichen – Führern wieder mehr Macht zugestehen. Gerade bei Landrechtsstreitigkeiten sind traditionelle Führer oft von der Regierung und Minengesellschaften kooptiert und gekauft worden, gegen den ausdrücklichen Wunsch der lokalen Bevölkerung, wie etwa in Xolobeni[3]
Das Gesetz wird die traditionellen Strukturen – und damit den Tribalismus als solchen – verfestigen und an die Apartheidideologie erinnern. Die Kritik unterstellt der Regierung, sie wolle sich an die rassistisch eingeschriebenen Grenzen der ehemaligen Homelands halten und die Zweiklassengesellschaft zementieren, in dem sie Bewohner*innen der ehemaligen Bantustans in Bezug auf Landrechte (traditionelles bzw. informelles) sowie Justiz und Entscheidungsfindung anders als den Rest der Bevölkerung behandeln und sie wieder zu „Stammesangehöre“ degradiert. Viele NGOs fürchten auch, dass damit der Ausverkauf des Landes und der Ressourcen auf Kosten der lokalen Bevölkerung noch einfacher wird. Die Aktivist*innen warnen, dass dieses Gesetz 18 Millionen Menschen ihrer demokratischen Rechte beraubt. Der ANC muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, er hätte das Gesetz aus Eigeninteresse durchgewunken, um nämlich mit den traditionellen Führern im ländlichen Raum eine Basis für die nächsten Wahlen zu sichern.
Doch das Gesetz bietet im Grundsatz auch die Chance, diese traditionellen Strukturen, die es nach wie vor gibt und auf die viele Menschen in eben jenen Regionen bauen und vertrauen, an die Verfassung anzunähern. Denn das Gesetz soll dafür sorgen, dass die traditionellen Gemeinschaften und die Khoisan-Gemeinschaften das Gewohnheitsrecht und ihre Traditionen in einer Weise transformieren und gestalten müssen, die mit den in der Satzung der Verfassung enthaltenen Grundsätzen übereinstimme.
Darüber hinaus ist es das erste Gesetz, in dem die Khoisan direkt als Gruppen angesprochen und damit legitimiert werden. Welche Konsequenzen dies in Bezug auf Landrückgabe haben könnte, bleibt abzuwarten.
[1] Ein Brand Ende Dezember 2018 hat die Hälfte der Häuser in Wupperthal zuerstört. Auch die kleine Fabrik von Red Cedar ist davon nicht verschont geblieben. Siehe dazu https://ems-online.org/fileadmin/user_upload/Medien/Zeitschriften/Darum_Journal/2019/darum_journal_3-2019_-_Web.pdf
[2] https://www.dailymaverick.co.za/article/2019-11-01-plant-matter-how-rooibos-brought-justice-to-sas-indigenous/
[3] https://www.kasa.de/kommentiert/detail/unser-land-unser-leben-unsere-zukunft-wie-communities-in-suedafrika-sich-gegen-bergbau-wehren/