Auf die Frage, was den Bevölkerungsgruppen Namibias, die direkt vom Genozid der Deutschen betroffen waren, heute helfen würde, erhalten wir auf unserer Reise zwischen Windhuk und Kapstadt eine einhellige Antwort: Land und Bildung. Angesichts der Weite – und Leere Namibias mag dies auf den ersten Blick verwundern, doch auch hier besitzt wie in anderen ehemaligen Siedlerkolonien nach wie vor eine weiße Elite den überwiegenden Teil des Landes und besonders den landwirtschaftlich nutzbaren. Daran konnte auch das Umverteilungskonzept der Regierung, das auf willige Verkäufer und Käufer setzt, nicht wirklich etwas ändern: „Auch wenn Land über die Regierung verkauft wird, haben wir keine Chance, über dieses Programm an Land zu kommen“. Chief Johannes Matroos lebt heute in Karasburg, dort treffen wir ihn mit seiner Beraterin Franciska Witbooi in einem kärglich eingerichteten Büro. Eigentlich, so erzählt er uns, gehörte seinem Volk, den Bondelswarts, das Land in Heirachabis. Doch diesen Ort mussten sie nach dem Friedensschluss von 1906 verlassen und sich in Warmbad ansiedeln. Auch dort unterhält Matroos ein Büro, um sich den Problemen und Nöten seiner Leute annehmen zu können. Doch was kann er schon ausrichten?
Auf dem Weg nach Heirachabis machen wir Halt auf einer Farm. Dort stehen noch die Ruinen des ehemaligen Hauptquartiers der sogenannten Schutztruppen. Von dort aus wurde der Krieg gegen die Nama im Süden organisiert. Wir müssen den Farmer um Erlaubnis bitten, da sich das Gelände in Privatbesitz befindet. Auf dem steinigen Weg sehen wir die heruntergekommenen und verwahrlosten Behausungen der FarmarbeiterInnen… anderes Thema. Eine merkwürdige Atmosphäre hier zu sein und Chief Matroos zuzuhören.
Dann fahren wir auf das Gelände, das den Vorfahren von Chief Matroos gehörte und heute von weißen Pächtern als Farm betrieben wird. Der Eigentümer ist die Katholische Kirche, von ihr pachten auch die wenigen Bondelswart-Familien, die noch dort siedeln, ihr Land. Früher wurde hier eine Schule betrieben, doch heute stehen die Gebäude leer. „Das wäre der perfekte Ort für ein berufsbildendes Zentrum für Südnamibia, um die Menschen neue und angepasste Methoden von Ackerbau und Viehzucht beizubringen.“ Denn auch für ihn steht die Landrückgabe an erster Stelle. Einmal mehr taucht die Kirche als Eigentümerin von Land auf. Wie auch in Berseba – dort handelt es sich um die lutherische Kirche – hatte die Kirche das Land nach den Enteignungen durch die Deutschen treuhänderisch übernommen. Zumindest nach dem Verständnis der Nama. Dass die Missionsgesellschaften und Kirchen dies anders sehen zeigt die Tatsache, dass in den letzten Jahren diskutiert wurde, das Land zu verkaufen.[1] In Heirachabis war die römisch katholische Kirche an dem Friedensschluss beteiligt und übernahm in dessen Folge auch das Land, auf dem dieser Vertrag geschlossen wurde. Heute verpachtet die Kirche das Land an mehrere weiße Farmer. Der Pachtvertrag, so erzählten sie uns, würde in drei Jahren auslaufen. Eine Chance für Chief Matroos, seinen Traum hier zu verwirklichen? Wie steht die römisch-katholische Kirche dazu?
„Wir hoffen, dass wir mit der Klage gegen die Deutschen wegen des Genozids erfolgreich sind, dann können wir Land erwerben und unsere Leute fördern. Das ist das wichtigste. Ohne Land kannst du nichts machen. Ohne Land gibt es nichts zu tun. Der wichtigste Schritt ist also Land, dann können wir auch unseren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen, die es ihnen erlaubt, für sich selbst zu sorgen.“
Chief Matroos spricht von der Klage gegen Deutschland, die einige Nama und Herero Chiefs in den USA eingereicht hatten, um Entschädigungszahlungen von der deutschen Regierung einzufordern. Zu diesem Schritt hatten sie sich entschieden, nachdem die Verhandlungen zwischen der deutschen und namibischen Regierung ins Stocken geraten waren, weil Deutschland einseitig noch vor Ende der Gespräche Reparationszahlungen kategorisch abgelehnt hatte.
Fährt man durch den Süden Namibias trifft man auf Projekte, die aus Mitteln der Sonderinitiative des BMZ finanziert werden. Damit sind 20 Millionen Euro Entwicklungshilfe gemeint, die auf Heidemarie Wieczorek-Zeul zurückzuführen sind. Die damalige Entwicklungsministerin hatte bei der Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Genozids 2004 offiziell um Vergebung für den Völkermord gebeten. Der Vorwurf an die deutsche und namibische Regierung, dass das meiste Geld daraus in den Norden und nicht zu den Bevölkerungsgruppen fließen würde, die tatsächlich Opfer des Völkermords wurden ist das eine. Das andere jedoch betrifft die Art und Weise, wie die Mittel eingesetzt werden. Es sollen explizit Gemeinschaften davon profitieren und nicht Individuen. Das führt zu einer Schieflage, wie sie deutlicher in Hoachanas nicht hätte sein können. Simon Kooper, ein Enkel des amtierenden Chiefs Petrus Kooper, führt uns durch den Ort. Auf dem Weg zur Quelle, mit der die Besiedlungsgeschichte begann, kommen wir an einer großen Baustelle vorbei. “Hier entsteht ein Touristenzentrum mit Museum über unsere Geschichte und einem Zeltplatz.“ Wir können nur hoffen, dass die Rechnung aufgeht und nach Fertigstellung hier tatsächlich Touristen vorbeikommen und dadurch Arbeitsplätze geschaffen und die Einrichtungen genutzt werden. Die Schule jedenfalls, die gerade mit Mitteln aus der Privatwirtschaft renoviert wird, sieht kein Geld aus der Sonderinitiative. „Das Unternehmen Benguella hat auf unsere Initiative das Internat neu ausgestattet, doch wir können es nicht in Betrieb nehmen, weil die Regierung den Unterhalt nicht bezahlt. Dabei wäre das so wichtig für die Kinder der FarmarbeiterInnen. Die Eltern können sich nicht um die Kinder kümmern, daher ist die Abbrecherquote sehr hoch hier. Ein Internat könnte wirklich helfen.“ Simon Kooper ist leidenschaftlicher Lehrer und wir wundern uns, dass diese Information nicht bis zu den CSR-Leuten von Benguella durchgedrungen ist. Sie sind nämlich etwas verschnupft aufgrund der Tatsache, dass das Internat nicht betrieben wird, wo sie doch hier auf Wunsch des Chiefs investiert haben.
Am Ortsausgang halten wir an einem schön konstruierten neuen Community Centre mit Supermarkt, Picknickmöglichkeit und kleinen Läden für Kunsthandwerk und Streetfood. Das Schild weist dies ebenfalls als Projekt aus der Sonderinitiative aus. Es ist wenig los. Vielleicht ist es der falsche Zeitpunkt und zu anderen Zeiten brummt hier der Bär. Vielleicht aber auch nicht. Das Gebäude bleibt in unserer Erinnerung, vor allem, wenn wir auf der Weiterfahrt die Wellblechhütten der Subsistenzfarmer auf den Communal Lands sehen. Kaum vorstellbar, wie die Familien hier über die heiße Jahreszeit kommen. Von Entwicklung ist hier nichts zu sehen und was die paar Stellen, die vielleicht in einigen Zentren entstehen daran ändern soll ist angesichts dieser unermesslichen Weite, der fehlenden Infrastruktur und der Abgeschiedenheit der Siedlungen nicht nachvollziehbar. Die Namen der Bahnstationen sprechen dafür eine deutliche Sprache, wer hier seit der Eingeborenenverordnung von 1907 von Land profitiert: „Deutsche Erde“, „Falkenhorst“, „Freistatt“…
Chief Johannes Isaak in Berseba und sein Onkel und Berater Salomon Isaak, der uns von Keetmanshoop zurück nach Berseba begleitet, betonen beide die Notwendigkeit einer einvernehmliche Lösung der Landfrage mit allen Beteiligten: „Sollte das nicht funktionieren, könnte sich die Landfrage in eine Richtung entwickeln, die wir nicht möchten. Nach der Verfassung sind Landenteignungen durchaus möglich. Aber auch eine Super-Besteuerung von nicht genutztem Land könnte eingeführt werden in dem Fall, dass keine gütliche Einigung zustande kommt. Die Deutschen müssen diese Angelegenheiten erst nehmen und ein echter Partner in der Suche nach Lösungen sein. Außerdem müssen wir in Forschung investieren, um genau zu wissen, wie viel Land wir tatsächlich verloren haben und was das bis heute ökonomisch bedeutet.“ Und der Chief ergänzt: „Die Menschen sind hungrig und hoffnungslos. Wir haben aufgrund des Völkermords heute keinen Zugang zu den nationalen Ressourcen. Die junge Generation wird uns vorwerfen, dass wir nichts getan haben. Wir wollen keinen Krieg, das wäre keine Lösung und wir haben auch gar nicht die Mittel dazu. Aber die Weißen wollen nach wie vor nicht reden, sie akzeptieren uns nicht als gleichwertige Menschen.“
Ein weiter Weg.
[1] Siehe ausführlich dazu Kößler, Reinhart: Land und Mission im Süden Namibias. In: Lessing et al: Deutsche evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika. Wiesbaden 2011, S. 555 ff.